Bombay - Poona, 15. November 2003


Geschäftlich habe ich jahrelang regelmässig Indien besucht. Der Weg vom internationalen Flughafen in Mumbai zu den Büro’s unserer Partnerfirma (www.baroc.co.in) in Pune, beträgt ca. 180 km und wurde im Normalfall per Taxi oder Zug zurückgelegt. In all dieser Zeit konnte ich beobachten, dass die anfänglich schlechte Straßenverbindung, allmählich in einen vierspurigen, zollpflichtigen Express Highway umgebaut wurde. Die Reisezeit mit dem Auto reduzierte sich von durchschnittlich 6 Stunden in 1997 zu durchschnittlich 3 Stunden in 2003. Zusätzlich zur Gefahr, nachts mit einem Ochsenkarren oder einem hoffnungslos überladenen Lastwagen zusammenzustossen, verschwand allerdings jedoch auch die Möglichkeit, unterwegs etwas vom typisch, indischen Strassenleben mitzubekommen. Dies war einer der Gründe, warum ich bereits seit längerer Zeit vorhatte, einmal mit dem Velo (zu Deutsch Fahrrad) von Mumbai nach Pune zu reisen. Nun, Ende November 2003 war es dann soweit.

Bei der Fluggesellschaft Emirates kann man ein Velo als Teil des Fluggepäcks mitnehmen, als Voraussetzung gilt jedoch, dass es geeignet verpackt ist. Empfehlenswert sind die von der Schweizerischen Bundesbahn (SBB) verkauften Velotragtaschen namens Transbag. (Fr. 98.--). Teuer wird es dann erst, wenn man mehr bei sich hat als die 20 kg Bagage plus 7.5 kg Handgepäck (Limite Economy Class) wobei jedes zusätzliche Kilo Fr. 53.-- kostet. Mein Velo und Zubehör wogen 16 kg, den Rest des Gepäcks hatte ich in einer Ortlieb Velokuriertasche verstaut, die ich während der Fahrt auf dem Rücken Tragen würde.

Die Reise nach Mumbai verlief ohne Probleme, der „erzwungene“ Zwischenhalt in Dubai – es gab keinen anschliessenden Weiterflug – war eine gute Gelegenheit, mich mit etwas Lauftraining zu akklimatisieren. In Dubai und Mumbai war es etwa 30 bis 35 Grad heiss, in Basel waren es 5 Grad!

Nach der Ankunft in Mumbai am späten Nachmittag, ging's zuerst mal ins Hotel. Ich setzte mein Velo zusammen und musste dabei leider feststellen, dass das Hinterrad beim Transport einen ziemlichen Schlag bekommen hatte. Ich beschloss jedoch, nichts daran zu machen um die Sache nicht noch zu verschlimmern. Ich musste nur den Zähler vom Cateye neu montieren, da durch den Schlag regelmässig der Kontakt mit dem Speichenmagnet verloren ging und dadurch nicht mehr gemessen wurde. Den Rest des Abends verbrachte ich im Hotel. Zufälligerweise gab es im Restaurant im Innenhof eine Zirkusvorstellung mit Akrobaten, die an den Trapezen und in einer Art Manege auf Velos(!!!) Kunststücke vorführten.

Am anderen Morgen um 06:15, kurz vor Sonnenaufgang, ging es dann los. Ich hatte mich in das gelbe Trikot meines Nebenjobs als Velokurier (www.veloexpress.ch) geworfen und damit sichergestellt, dass ich auffallen würde. Es war mir schon etwas mulmig zumute! Zuerst musste ich einen Weg durch Mumbai finden. Erschwerend kommt dazu, dass für diese Metropole mit über 18 Millionen Einwohner keine brauchbaren Strassenkarten existieren, es gibt auch keine Schilder mit Straßennamen. Die Karten die es gibt, zeigen nur ansatzweise die wichtigsten Verbindungen. Es gibt in diesem Fall nichts anderes, als einen Kompass und viele Fragen zu stellen.

Wichtig dabei ist es, beim Fragen nach einer Ortschaft nicht bereits in die erwartete Richtung zu deuten. Wenn in Indien eine Frage nicht verstanden wird, wird rasch „Ja“ gesagt, Nachfragen oder „Nein“ gilt normalerweise als unhöflich. Weiter ist es sehr von Vorteil, wenn man den Zielort oder Zwischenstationen auch in der Devnagari-Schrift (die Schrift die u.A. für Marathi, Hindi und Sanskrit benutzt wird) aufschreibt oder aufschreiben lässt, es kann beim Fragen helfen (obwohl es sehr viele Analphabeten gibt) undviele Richtungsanzeiger enthalten die Ortsnamen nur in dieser Schrift und nicht auf Englisch. Wenn man die Schrift überhaupt nicht beherrscht, kann man die gewünschten Ortsnamen von einer zweisprachigen Tafel „kopieren“. Am Besten lässt man sich das Ganze in einer freundlichen Umgebung, z.B. im Restaurant, noch bestätigen, so kann man auch gleich die Aussprache üben.

 

Glücklicherweise kam ich gut voran und nach ca. 20 km überquerte ich die Brücke nach Vashi. Nach Vashi sind es noch ca. 15 km nach Panvel und dann ist man auf dem alten Highway, ein leicht übertriebener Name für eine Strasse mit zwei Fahrstreifen.

Auch die weitere Reise nach Khopoli, 80 km vom Mumbai, verlief ohne Probleme. Leider bekam ich rechts neben der Wirbelsäule immer mehr Rückenschmerzen. Es dauerte länger als nötig bis ich endlich realisierte, dass ich viel zu wenig getrunken hatte und dass die Schmerzen entweder durch eine „ausgetrocknete“ Bandscheibe oder durch eine „trockene“ Niere verursacht wurden. Ich hatte seit Beginn der Tour nur ca. einen Liter Wasser getrunken, zu wenig für eine Temperatur von ca. 35 Grad und einer leichten Briese wo man den Feuchtigkeitsverlust nicht sofort merkt, weil die Kleidung rasch trocknet. Ich beschloss etwas zu essen und vor allem zu trinken. Aus früheren Erfahrungen in Indien kann ich berichten, dass es wichtig ist ein gutes Restaurant zu suchen und es tunlichst zu vermeiden „auf der Strasse“ zu essen, auch wenn es wunderbar riecht. Das Risiko einer Lebensmittelvergiftung ist wirklich sehr gross. Noch wichtiger ist es, beim beschaffen von Trinkwasser extrem vorsichtig zu sein: Inder sind Spezialisten im Recycling von Trinkwasserflaschen. In kleineren Läden und in jedem Restaurant sollte man darauf bestehen, eine geschlossene Flasche zu bekommen, die erst nach einer Inspektion durch den Käufer geöffnet werden darf. Niemals offene Flaschen akzeptieren, auch nicht solche, die ohne explizite Prüfung angeblich am Tisch geöffnet werden.

Nach dem Essen stieg ich wieder auf die Räder. Nach ca. 5 km ging es dann ziemlich aufwärts, ich hatte das Decan Plateau erreicht, das Indien von Nord nach Süd durchquert. Auf der Karte sieht man, dass es „Hill Stations“ gibt, demzufolge sollte es auch Hills geben. Die gesamte Steigung beträgt etwa 500 m auf 10 km. Bedingt durch meine 52/18 Übersetzung musste ich über grosse Strecken hügelaufwärts laufen, eine schwere Aufgabe, was wohl vor allem nach dem Essen nicht so klug war, sodass ich beschloss, nach einiger Zeit auch einmal etwas Pause zu machen. Ich fand eine breite Mauer an einem schattigen Strassenrand und legte mich für ein Nickerchen hin. Auch in diesem Zusammenhang gilt es aufzupassen, da es erstens in Indien Schlangen und zweitens bis zu einem Meter grosse Varane gibt, die ich entweder tot auf der Strasse (Schlangen) oder lebendig am Rand (Varan) gesehen habe. Weiter verrichten sehr viele Inder ihre Notdurft am Strassenrand, was kombiniert mit den herrschenden Temperaturen, alles andere als angenehm ist. Also immer etwas Höheres zum Ausruhen suchen und aufpassen, sobald die Strasse verlassen wird, z.B. wenn man sich dem Beispiel der Inder anschliessen möchte! Aus diesem Grund auch immer die Hände nach Reparaturen am Fahrzeug waschen, das dabei zu benutzende Trinkwasser ist gut investiert! Vor allem sollte man sich mit unsauberen Händen so wenig wie möglich die Augen reiben, man hat schnell eine Augeninfektion, die meistens nicht gefährlich ist, jedoch juckt und nur langsam ausheilt und vor allem die Sicht behindert, weil die Augenlieder anschwellen und das Auge sich durch die Ausscheidungen schliesst.

Nach meinem Schläfchen ging es dann weiter bergauf. Nach ca. Dreiviertelstunden hatte ich den Aufstieg dann hinter mir und radelte auf dem Plateau. Plötzlich befand ich mich auf dem Express Highway der für Ochsenwagen und andere Fahrzeuge mit zwei und drei Rädern geschlossen war. Es gab grosse Schilder mit der Aufschrift, dass Anhalten streng verboten war und es dunkle Tunnel gibt (deswegen immer Reflektoren auf Gepäck und Rad!). Ich befürchtete schon, dass ich bei einer der Baustellen beim Aufstieg oder beim Hügelrand vom alten Highway auf den Express geraten war. Es ist wirklich ein komisches Gefühl, so auf der Autobahn zu fahren. Nach 5 km löste sich das Rätsel und ich wurde vom Express zurück auf die alte Strasse geleitet. Es stellte sich heraus, dass die beiden Strassen einen kritischen Hügeldurchgang mit wenig Platz teilten.

 

Nach diesem Abenteuer erreichte ich schnell einmal Lonavala, ein bekannter Knotenpunkt der indischen Eisenbahn und einem Kurort. Wegen der Höhe gibt es hier anscheinend bessere Luft. Ab Lonavala sind es dann noch ca. 70 km bis nach Pune. Die Strasse ist breit, ziemlich ruhig und geht tendenziell abwärts (oder hatte ich nur das Gefühl dass es so war?). Ich machte noch zweimal Halt in einer der vielen Restaurants (Daba’s) mit einer grossen Terrasse und trank reichlich Wasser und Kaffee. Mittlerweile spürte ich meinen Allerwertesten immer mehr.

So gegen 17:15 erreichte ich dann das Zentrum von Pune, vom Stadtrand bis zum Zentrum, wo ich für mich ein Hotel ausgesucht hatte, waren es ca. 15 km. Es hatte viele Leute und war aus diesem Grunde sehr abwechslungsreich.

Die Länge für den ganzen Trip betrug 176.78 km, ich benötigte dafür 8 Std und 37 min, was einen Durchschnitt von 20.4 km pro Stunde ergibt. Inklusive Fussmarsch beim Aufstieg, war ich 11 Std. unterwegs gewesen.

Es war ein schönes Erlebnis gewesen und wenn ich wieder einmal eine Gelegenheit habe, werde ich die Tour sicher wiederholen. Ein weiser Mensch hat einmal gesagt: „Wenn man ein Land kennen lernen möchte, soll man zu Fuss gehen“. Ohne mir etwas anmassen zu wollen, möchte ich hinzufügen: „und wenn man dafür zu wenig Zeit hat, mit dem Velo“. Ich hatte unterwegs einiges gesehen: Leute bei ihrer täglichen Beschäftigungen, einen Trauerzug, eine Kremation, mehrere religiöse Umzüge, viele Vögel etc. Die Leute sind friedlich, sogar die viel gefürchteten Lastwagenfahrer sind besser als ihr Ruf. Es wird viel gewinkt und gelacht (an- und aus- ,nehme ich an).

Ich erlaube mir hier noch einige Tipps zu geben:
- Am besten trägt man auffällige Kleider, man wird dann sofort als Ausländer erkannt und kann mit etwas mehr Nachsicht rechnen. Obwohl in Indien absolut unbekannt, und häufig Anlass zu Spott, würde ich einen Velohelm absolut empfehlen. Die Strassenränder sind steinig und allzu leicht kann man stürzen.
- Klopapier nicht vergessen. In Indien „putzt“ man sich nach dem Geschäft mit Wasser, für Europäer ist diese an sich gute Gewohnheit jedoch ziemlich gewöhnungsbedürftig.
- Da man bei der zuvor beschriebenen Tätigkeit ausschliesslich die linke Hand benutzt, ist diese demzufolge unrein und sollte nicht für Kontakte mit anderen benutzt werden. Auch Winken tut man deswegen besser mit der Rechten.
- Viel „Flickzeug“ für die Reifen mitnehmen, die Spur, wohin die Velofahrer normalerweise verbannt werden, ist voll mit Schrauben und Glassplittern. Es grenzt an ein Wunder, dass ich keinen „Platten“ hatte.
- So defensiv wie möglich fahren, das machen alle indischen Velofahrer. Das in Europa ab und zu beobachtete Imponiergehabe und pochen auf Rechte von Velofahrern wird in Indien nicht verstanden. Dort fahren nur die unteren Gesellschaftsschichten das edle Ross und werden dem entsprechend behandelt. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass man sofort als Ausländer erkannt wird!
- Man sieht mehr vom Land mit einen hohen Lenker. Es ist wichtig, das Werkzeug für das Verstellen von Lenker und Sattel griffbereit zu haben. Beim geringsten Anzeichen von Druckstellen sollte man die Geometrie ändern, so dass man Probleme vermeiden kann, bevor sie wirklich ernsthaft werden. Auch ohne Probleme beim Anflug, ist es angenehm, wenn man ab und zu mal in einer anderen Haltung sitzen kann.

Batavus Florence Special

Ich hatte mir eigens für diese Reise ein Velo vorbereite lassen. Der Grundrahmen war ein älteres Velo der niederländischen Marke Batavus, Typ Florence mit einem 58 cm Stahlrahmen. Es war ein Geschenk von meinen Bruder gewesen, der das Ding vielleicht auch nur entsorgen wollte. Erstmal habe ich alles abmontiert. Ich behielt die grossen Stahlfelgen, neu aber mit Schwalbe Marathon Reifen. Am Vorderrad behielt ich die Sachs Trommelbremse (funktioniert auch wenn’s nass ist). Beim Hinterrad liess ich anstelle der hoffnungslos defekten Gangschaltung, eine Torpedo-Nabe mit Rücktritts-Bremse einbauen. Als Antrieb waren es fixe 52/18. Eigentlich wollte ich einen 52/18 Festlauf (Fix Gear), fühlte mich dafür jedoch noch nicht genug trainiert. Weiter gab es einen Rennsattel und ein Cat-Eye-Geschwindigkeits- und Abstandsmesser auf der Sattelstange mit Fühlern an der Hintergabel, damit das Kabel überall fixiert werden kann. Zum Schluss noch eine ziemlich gerade Lenkstange mit einer in drei Richtungen verstellbare, hohe Halterung mit der zusätzlichen Möglichkeit, die Lenkstange ohne Abmontieren der Handgriffe, Bremshebel etc. abzunehmen. Meiner Meinung nach war die so entstandene Maschine optimal für die Reise: 14 kg, keine unnötigen Teile, auch in Indien reparierbar, unterschiedlich wasserfeste Bremsen und optimal verstellbare Lenker und Sattel für eine komfortable und veränderbare Haltung. Die Hauptarbeit dabei hat Bernhard Hofer, der in Münchenstein und Umgebung bekannte und geschätzte Velomechaniker, geleistet. Seine Arbeit wurde durch meine vielen guten Ratschläge erheblich erschwert.

 
 
 
© 2003 all rights reserved - Trinakria  / 14.11.2003